Zurück zur Auswahl



dein Lächeln


Es war einmal ein Junge namens Ralph. Er war vierzehn Jahre alt und das erste Mal verliebt. Sie hieß Mary und war in seiner Parallelklasse. Schon als Kinder hatten sie zusammen im Sandkasten gespielt und sie waren bereits lange beste Freunde. Sie sprachen über Vieles und eigentlich vertraute Ralph ihr bedingungslos. Nur seine Liebe – das konnte er ihr nicht erzählen. Sie trafen sich beinahe jeden Tag und jedes Mal verliebte er sich neu in ihre Augen, ihr Gesicht und vor allem – ihr Lächeln. So oft er konnte, dachte er an sie. Endlich fasste er Mut. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und fing an zu schreiben: er schrieb ein Gedicht für sie, nur wenige Zeilen – doch in diesen Zeilen schrieb er alles nieder, was er fühlte, wenn er an sie dachte. Er überschrieb das Gedicht mit „dein Lächeln“.

Doch, als er es ihr einige Tage später gab, erlebte er eine herbe Enttäuschung. Sie war zwar geschmeichelt, aber sie machte ihm zugleich deutlich, dass sie kein Interesse an einer Beziehung mit ihm hatte.
Danach kühlte ihre Freundschaft ab – und kurze Zeit später zog Mary mit ihren Eltern in eine weit entfernte Stadt. Sie sahen sich nur noch selten – und hatten sich noch weniger zu sagen. Nur ein Jahr, nachdem er ihr den Zettel gegeben hatte, war ihre Freundschaft vorbei. Dennoch konnte er sie nicht vergessen.

Um sich von seinem Schmerz und seiner Trauer abzulenken, fing Ralph an, mehr Zeit in sein Gitarrenspiel zu investieren. Er probte nun mehr als früher und sein Spiel wurde immer besser. Nach einiger Zeit gründete er mit Freunden eine Band – die „Rock Brothers“. In dieser Zeit fing er auch an, Lieder zu schreiben und sich auch auf Gesang zu konzentrieren. Sein Gitarrenspiel war zwar gut, aber andere in der Band waren deutlich besser. Aber beim Gesang und vor allem bei der Anmoderation war er unschlagbar – sein gewinnendes Wesen machte jeden Auftritt dieser Schulband zu einem Erfolg. Sie wurden in der ganzen Stadt berühmt. Sie hatten eine CD aufgenommen und sogar kurzzeitig eigene Band-Shirts gedruckt – doch dann endete die Schullaufbahn ihres Schlagzeugers und er verließ die Band.

Ralph überarbeitete die Songs und nahm eine eigene Platte auf. Er fing an, ein Soloprogramm auf die Beine zu stellen. Es war eine Mischung aus Musik und Kabarett.
Irgendwann in dieser Zeit fiel ihm das Gedicht in die Hand, das er vor knapp sechs Jahren geschrieben hatte. Der Text gefiel ihm ausnehmend gut und so arbeitete er es um – aus dem Gedicht wurde ein Refrain und er schrieb noch einige Strophen dazu. Als er das Lied auf seiner neuesten CD veröffentlichte, wurde er so stark nachgefragt, dass die Plattenfirma nachträglich noch eine Single mit dem Song „dein Lächeln“ heraus brachte.

Bei jedem Auftritt sang er nun dieses Lied – es wurde ein fester Bestandteil seiner Show.

Zwei Jahre später hatte er einen Auftritt in seiner Heimatstadt. Er sang und schauspielerte wie immer, doch auf einmal sah er sie – Mary saß in einer hinteren Reihe im Publikum. Sie war, genau wie er, nun erwachsen, aber je öfter er hinsah, desto sicherer war er: das war sie.
Anfangs freute er sich darüber, doch je näher der Song „dein Lächeln“ kam, desto unruhiger wurde er. Und als er die Ansage für den Song machen sollte, sagte er:
„Meine Damen und Herren – sicher erwarten Sie schon den Song 'dein Lächeln'. Doch heute muss ich sie enttäuschen. Ich habe diesen Song schon oft gesungen. Aber heute ist etwas anders. Heute ist jemand anwesend, der diesen Song von früher kennt. Dieser Person habe ich damals den Song geschenkt und versucht, ihr so meine Liebe zu erklären – leider ohne Erfolg! Und nun stehe ich hier und sie sitzt da unten – ich würde ihr den Song wieder schenken. Doch ich habe Angst – Angst, wieder abgewiesen zu werden. Deswegen möchte ich den Song nicht singen. Aber ich möchte dich bitten, dass du nach der Show zum Bühneneingang kommst – und mit mir redest, wenn du das willst. Wir haben uns lange nicht gesehen und ich denke, wir haben viel zu besprechen. Und vielleicht hat sich deine Antwort ja auch geändert...“
Er unterbrach sich selbst und schluckte kurz. Dann sagte er, und seine Stimmung hatte jegliche Emotion verloren: „Bitte entschuldigen Sie die Unterbrechung.“ Dann stimmte er einen Song an – nicht „dein Lächeln“, sondern den nächsten in seinem Programm.

Nach seinem Auftritt lief er sofort zum Bühneneingang. Viele Fans standen da, doch Mary sah er nicht. Traurig verteilte er Autogramme und hörte sich die aufmunternden Worte seiner Fans an: „Das fand ich super von dir!“ „Dass du deine Gefühle so zeigst.“ „Mein Freund wäre nie so romantisch.“ „Du hast eh eine Bessere verdient!“ „Ich hätte sofort 'ja' gesagt.“

Langsam leerte sich der Saal – und da saß sie. Und sie kam auf ihn zu. „Ich habe das Stück gleich erkannt - schon, als es im Radio lief. Es ist so schön wie früher – auch wenn ich eigentlich keine Balladen mag.“ Sie lächelte. „Weißt du, damals war ich noch nicht bereit. Ich war mir nicht sicher, was ich wollte. Heute weiß ich es: Ich liebe dich! Doch ich habe mich nie getraut, dich anzuschreiben – du bist berühmt und ich bin doch nur ein einfaches Mädchen. Doch ich würde mir wünschen, dass wir nun ein Paar werden – und dass du diesen Song wieder singst.“
Ihr Lächeln war absolut bezaubernd und er sah sie einfach nur an. Er konnte nicht begreifen, was er gerade gehört hatte – Sie liebte ihn! Sein Traum wurde wahr.
„Was ist nun? Willst du mich nur anstarren oder küsst du mich endlich?“ Noch nie war ihr Lächeln so schön gewesen.


ENDE


Zurück zur Auswahl